Pressespiegel/Internetsperren: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 20. August 2014, 03:13 Uhr

Artikel der Braunschweiger Zeitung vom 27.03.2014.

Die Angst vor Zensur bei Internet-
Sperren

Braunschweig 
Auch ein Zahnarzt landete auf der Liste.

[Foto]
Mit diesem Stopp-Schild sollten vor Jahren Kinderporno-Seiten gesperrt werden.
Foto: Jens Schierenbeck/dpa

Ein Leser, der sich ,,Maddin“ nennt, bemerkt auf unseren lnternetseiten:

Zensur in jeglicher Form ist eines Rechtsstaates niemals würdig! Die Menschen sind
doch alt genug; wer dann eine Klage bekommt kann sich verteidigen. Denn wer legt
fest, was illegal ist? Wer überwacht Zensur, um Missbrauch zu verhindern?

Die Antwort recherchierte Philipp Engel

Vor vier Jahren handelte sich die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen
einen unrühmlichen Spitznamen ein: ,,Zensursula“. Der Anlass hat mit dem heiklen
Punkt zu tun, den unser Leser anspricht: staatlicher Zensur. Damals ging es um das
sogenannte ,,Zugangserschwerungsgesetz“. Es sah vor, Webseiten mit
kinderpornografischen Inhalten schnell und unkompliziert zu sperren. Das
Bundeskriminalamt sollte eine Sperrliste führen und jene Seiten mit einem Stopp-
Schild blockieren. Das Vorhaben scheiterte schließlich.

Netzaktivisten liefen Sturm, da sie die Schaffung einer Infrastruktur befürchteten, die
Zensur erleichtern würde. Zudem ließen sich die Sperren mit geringem Aufwand
umgehen.

Ahnlich steht es um die Folgen des Urteils aus Luxemburg. Sollte ein deutsches Gericht
die Internet-Anbieter zu Sperren verurteilen, so wären diese durch Proxy-Server oder
TOR-Netzwerke leicht umgehbar, erklärt Lars Andresen vom Braunschweiger
Computerverein ,,Stratum 0“. Außerdem würden mit dem Verschwinden einer Seite
mehrere identische Seiten auftauchen – unter anderen Internet-Adressen: Die Seite, die
zum EuGH-Urteil führte, war unter kino.to aufrufbar. Sie existiert mittlerweile nicht
mehr – aber die Inhalte sind woanders weiter verfügbar.

,,Wer nach Filmen zum Streamen oder auch nach Kinderpomos sucht, der lässt sich
durch Sperren nicht abschrecken“, meint Andresen. Leute, die explizit suchen, würden
auch fündig. Im Zweifel träfen Sperren die Falschen meint der Experte – etwa wenn
Seiten mit legalen Inhalten auf die Sperrlisten rutschen.

Das geschah etwa in Australien. Auch dort gab es ein Sperr-Gesetz. Dann wurde die
Liste der Sperrungen öffentlich und es zeigte sich, dass die australischen Provider
knapp 2500 Internet-Seiten sperren mussten. Laut ,,Sydney Morning Herald‘‘
beinhalteten jedoch nur etwa die Hälfte der gesperrten Internetseiten strafbare Inhalte
wie Kinderpornografie. Der Rest bestand unter anderem aus Online-Poker-Angeboten,
legaler Pornografie, Youtube-Videos und Wikipedia-Einträgen, aber auch aus den
Onlineauftritten eines Reiseveranstalters und eines Zahnarztes. ,,Das Bild eines Zensur-
Regimes“, kommentierte das Blatt. Beispiele für solchen Missbrauch fänden sich in
vielen Ländern, so Lars Andresen.

Als Alternative zur Sperrung bringen Netzaktivisten immer wieder das Löschen von
Seiten und Inhalten ins Gespräch. Dass das klappt, beweist das BKA. So seien laut
einem Bericht von Innen- und Justizministerium die überwiegende Zahl
kinderpornografischer Inhalte nach Hinweisen der Ermittler gelöscht worden.

GLOSSAR

Proxy-Server: ein Computer, der den Standort des eigenen Computers verschleiern kann.

TOR-Netzwerk: ein Netzwerk mehrerer Computer, die ein Signal verschlüsselt weiterleiten und so
die Herkunft verschleiern.

Hoster: der Besitzer eines Servers, auf dem Webseiten gespeichert sind.

Provider: der Anbieter eines Internet-Zuganges, beispielsweise die Telekom oder Alice.

Stream: ein Datenstrom aus dem Internet, etwa bei Youtube-Videos, um Inhalte auf dem eigenen
PC anzuzeigen.

Die Ermittler hatten sich mit Hinweisen an die Hoster gewandt – also diejenigen, die
Speicherplatz im Internet bereitstellen. Gut drei Viertel der Inhalte waren auf Servern
zu finden, die im Ausland stehen. Die Inhalte waren nach BKA-Angaben nach vier
Wochen zu 97 Prozent gelöscht. Deutsche Hoster brauchten höchstens zwei Wochen –
dann waren die beanstandeten Inhalte zu 100 Prozent verschwunden.